"Er war von breitem und kräftigem Körperbau, hervorragender
Größe, die jedoch das rechte Maß nicht überschritt
- denn man weiß, daß sie sieben seiner Füße betrug
(nach neueren Messungen der Gebeine 1, 92 Meter; d. V.). Der Schädel
war rund, die Augen groß und lebhaft, die Nase überragte ein
wenig das Mittelmaß. Er hatte schönes graues Haar und ein freundliches
und heiteres Gesicht. So bot seine Gestalt im Stehen wie im Sitzen sich
voller Autorität und Würde dar, wenngleich sein Rücken stark
und etwas zu dick, sein Leib hervorzutreten schien; denn das Ebenmaß
der anderen Glieder verdeckte das. Sein Gang war fest, die ganze Haltung
männlich, die Stimme hell, was freilich zu der Gestalt nicht recht
passen wollte."
(Einhard über seinen väterlichen Freund und Förderer
Karl den Großen)
1. CHLODWIG UND DIE ENTSTEHUNG DES FRÄNKISCHEN REICHES
Als Schöpfer des Fränkischen Reiches kann man den Merowinger
Chlodwig (König von 481 - 511) bezeichnen. Er ist zunächst nichts
anderes als ein Kleinkönig neben anderen, ausgestattet mit einem begrenzten
Herrschaftsbereich. Durch Ausschaltung von Rivalen gelingt es ihm jedoch,
die Alleinherrschaft zu erringen. Er vernichtet 486/87 bei Soissons die
letzte Bastion Roms in Gallien. Das Seine-Becken mit Paris, das zur merowingischen
Königspfalz wird, gehört damit in der Folgezeit zum Herrschafts-
und Siedlungsbereich der Franken.
Umfangreiches und jetzt herrenloses römisches Land fällt
dem Frankenkönig auf seinen Beutezügen in die Hände und
wird seiner adeligen Gefolgschaft zugewiesen, um das Band zwischen König
und Adel zu festigen.
Chlodwigs Fernziel ist es, die Alleinherrschaft in ganz Gallien zu
erringen. Dieses Ziel wird durch die Alamannen gefährdet. Sie dringen
vom Elsaß aus nach Süden, Norden und Nordwesten vor, können
jedoch 496/97 von Chlodwig geschlagen und unterworfen werden. In diese
Zeit fällt auch Chlodwigs Übertritt zum römisch-katholischen
Glauben. Die genauen Gründe für den Übertritt sind unbekannt.
Es ist aber zu vermuten, daß machtpolitische Gründe ausschlaggebend
sind. Mit der Taufe entfällt nicht nur eine religiöse Schranke
zwischen Franken und Galloromanen, Chlodwig gewinnt dadurch auch die Unterstützung
der Bischöfe im Land. Mit Chlodwigs Übertritt wird das spezifisch
mittelalterliche Prinzip von königlicher Macht und römisch-katholischer
Konfession begründet.
In der Folgezeit gelingt es Chlodwig, seinen Machtbereich weiter auszudehnen.
Das arianische Westgotenreich mit Toulose als Mittelpunkt wird beseitigt;
die Expansionspolitik über den Rhein hinaus beginnt.
Durch den Tod Chlodwigs kommt es zur Aufteilung des fränkischen
Reiches in einen westlichen Teil Neustrien (zwischen Schelde und Loire
mit Paris) und einen östlichen Reichsteil Austrien (mit Reims und
Metz). Die nachgeborenen Söhne gelten in gleicher Weise als erbberechtigt,
ein Teilungsprinzip, das merowingisch-karolingische Tradition werden soll
und in der Folgezeit wiederholt zu Spannungen führt.
Nach dem Tode Clothars, eines Sohnes Chlodwigs, kommt es zu blutigen
Auseinandersetzungen um die Herrschaft im Merowingerreich. Es folgt ein
zwanzig Jahre währender Bürgerkrieg, in dessen Folge sich neben
Austrien und Neustrien das 531 eroberte Burgund als drittes Teilreich herauskristallisiert.
2. DER AUFSTIEG DER KAROLINGER
Der Aufstieg der Karolinger zum führenden Könighaus
in Europa ist eng verknüpft mit der beherrschenden Stellung, die das
Hausmeieramt in den fränkischen Teilreichen gewonnen hat. De iure
repräsentiert der König die oberste Gewalt im Reich, de facto
aber hat sie der Hausmeier inne. Der Hausmeier (major domus) kommt aus
den Reihen des Adels und steht an der Spitze der königlichen Gefolgschaft.
Er hat weitreichende Aufgaben und seine politische Macht nimmt nicht zuletzt
wegen der ständigen Krisen innerhalb der merowingischen Herrscherfamilien
ständig zu. Als Hausmeier in Austrien treten die Karolinger in das
Land der Geschichte. Die Karolinger sind durch Heiratsverbindungen zwischen
den grundbesitzenden Arnulfingern und den Pippiniden entstanden. Pippin
der Ältere ist Hausmeier in Austrien, und zwar zu einer Zeit, als
das Hausmeieramt bereits erblich geworden ist. Pippins Hauptziel ist es
zunächst, den drohenden Zerfall des merowingischen Reiches zu verhindern
und den fränkischen Machtbereich zu erweitern. Dies gelingt ihm auch
weitgehend, doch bleibt es 687 seinem Enkel - Pippin dem Mittleren - vorbehalten,
den Hausmeier in Neustrien zu schlagen und damit zum führenden Mann
im Reich zu werden. Die offensive Politik Pippins des Mittleren (vor allem
gegen die Bayern und gegen die Alamannen) wird von seinem unehelichen Sohn
Karl Martell erfolgreich fortgesetzt. Er besiegt 732 bei Tours die Araber
und verhindert damit deren weitere Expansion. Darüber hinaus unterwirft
er mit Hilfe der Langobarden erneut Burgund. Dies alles erreicht Karl Martell
als Hausmeier. Versuche des Papstes, Karl Martell als Bündnisgenossen
gegen die Ausdehnungspolitik der Langobarden zu gewinnen, mißlingen.
Den entscheidenden Schritt zur Königswürde unternimmt erst
Pippin der Jüngere, der 741 gemeinsam mit seinem Bruder Karlmann das
Hausmeieramt erbt. Die beiden Brüder setzen mit Childerich III. noch
einmal einen Merowinger auf den Königsthron, doch ist dieser bereits
vollkommen abhängig von der politischen Macht der Karolinger. Als
sich 747 Karlmann in ein italienisches Kloster zurückzieht, gibt sich
Pippin der Jüngere nicht mehr länger mit dem Hausmeieramt zufrieden.
Die tatsächliche Machtfülle, die er inzwischen erworben hat,
soll nunmehr im Königstitel ihren adäquaten Ausdruck finden,
zumal mit dem Königtum auch der Erwerb der merowingischen Königsgüter
verbunden ist. Der Sturz der Merowinger gelingt mit Hilfe des Papsttums.
Pippin besitzt zwar eine außerordentliche Machtfülle, doch dies
allein wäre in den Augen der Zeitgenossen noch keine Legitimation
dafür gewesen, Childerich III. vom Königsthron zu vertreiben.
Nicht die karolingischen Hausmeier, sondern die Merowinger besitzen königliches
Geblüt, aus dem erbrechtliche Ansprüche abzuleiten sind. Nur
der Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden konnte Pippin die fehlende
Legitimationsgrundlage verschaffen. Vor diesem Hintergrund erklärt
sich die Anfrage, die Pippin 751 an Rom richten läßt, ob es
gut sei oder nicht, daß das Frankenreich von einem machtlosen König
regiert werde. Erst als Papst Zacharias zur Antwort gibt, daß es
besser sei, denjenigen König zu nennen, der die Macht habe, kann es
Pippin wagen, den Merowinger vom Königsthron zu stoßen.
Das Verhalten des Papstes erklärt sich aus der damaligen Situation.
Der Papst war auf der Suche nach mächtigen Bündnisgenossen. Wieder
sind es die Langobarden, die Rom und römisches Gebiet bedrohen. Hilfe
von Byzanz, das über einige Gebiete Italiens noch Herrschaftsrechte
besitzt und dessen Kaiser sich als legitime Nachfolger der römischen
Caesaren verstehen, ist nicht zu erwarten, da das oströmisch-byzantinische
Reich selbst aüßeren Bedrohungen ausgesetzt ist (arabisches
Vordringen, Vorstöße der Bulgaren) und seine Kräfte bündeln
muß. Hinzu kommen theologische Unstimmigkeiten zwischen Byzanz und
dem Papst. Dabei geht es um die Frage, ob Bilder von Heiligen verehrt werden
sollen oder nicht. Während Rom dies uneingeschränkt bejaht, gibt
Byzanz keine eindeutige Antwort. 751 wird Pippin der Jüngere auf Geheiß
des Papstes zum fränkischen König gesalbt.
Nachdem sich die Situation in Italien noch zugespitzt hat, wird das
Bündnis zwischen Rom und Franken 753/54 weiter gefestigt. Papst Stephan
II. kommt über die Alpen und trifft sich bei Paris mit dem fränkischen
König. Die Beschlüsse von Quierzy bringen dem Heiligen Stuhl
unmittelbare, greifbare Vorteile, die Hilfe, die man Pippin 751 geleistet
hat, zahlt sich aus. Der Frankenkönig verspricht, die von den Langobarden
besetzten Gebiete zurückzuerobern und alle Rechte des Heiligen Stuhles
wiederherzustellen. Als Gegenleistung wird Pippin erneut gesalbt, diesmal
aber vom Papst persönlich - ein wichtiger Schritt, denn dadurch wird
noch einmal nachdrücklich die Legitimität des neuen Königs
sichtbar. Hinzu kommt, daß Pippin und seinen Söhne vom Papst
der Titel des "Patricius Romanorum" verliehen wird. Der Patricius Romanorum
ist zur Verteidigung der Kirche und seines Oberhauptes verpflichtet, nicht
nur theoretisch, sondern notfalls auch mit Waffengewalt.
Pippin scheut zunächst eine kriegerische Auseinandersetzung mit
den Langobarden. Er ist darum bemüht, das Langobardenproblem auf dem
Verhandlungsweg zu lösen. Als dies mißlingt, zieht er 754 mit
einem fränkischen Heeresaufgebot nach Italien. Der Langobardenkönig
unterwirft sich daraufhin seiner Oberhoheit und verspricht, die eroberten
Gebiete zurückzugeben, hält aber seine Versprechen nicht ein.
Nach einem zweiten Feldzug gegen die Langobarden im Jahre 756 wird auf
der Grundlage der berühmten Pippinischen Schenkung der Weg zum Kirchenstaat
geschaffen. Pippin zwingt den Langobardenkönig zur Herausgabe mehrerer
Gebiete (z.B. Ravenna und Bologna) und schenkt diese dem Heiligen Stuhl.
Die zurückeroberten Gebiete gehen also nicht an den ursprünglichen
Herren, dem oströmischen byzantinischen Kaiser, sondern fallen direkt
an den Papst.
3. DIE HERRSCHAFT KARLS DES GROßEN
Pippin der Jüngere stirbt 768 und hinterläßt nach fränkischer
Tradition seinen Söhnen Karl dem Großen (742 - 814) und Karlmann
(751 - 772) jeweils einen Teil des fränkischen Reiches. Bald kommt
es deswegen zu Spannungen zwischen den Brüdern, nicht zuletzt wegen
der Frage, ob das ökonomische Gewicht der zugewiesenen Gebiete gleichwertig
sei. Der Konflikt verschärft sich infolge der unterschiedlichen Haltung
der Brüder gegenüber den Langobarden. Durch Vermittlung der Königinmutter
heiratet Karl die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius. Der Papst
fühlt sich durch dieses Vorgehen hintergangen und fürchtet nicht
zu Unrecht ein erneutes Vorgehen der Langobarden gegen Rom. Karlmann hält
an der Politik seines Vaters fest und bleibt dem päpstlich-fränkischen
Bund treu. Sein früher Tod im Jahre 771 verhindert einen schärferen,
vielleicht bewaffneten Konflikt zwischen ihm und Karl.
Durch Karlmanns Tod wird Karl der Große zum Alleinherrscher im
Fränkischen Reich. Als sich Karlmanns Witwe mit dem Langobardenkönig
verbündet und dieser erneut vor Rom zieht, überdenkt Karl seine
bisherige Italienpolitik. Er verstößt seine langobardische Gemahlin
und nimmt den Hilferuf des Papstes zum Anlaß, 773/74 Krieg gegen
die Langobarden zu führen. Durch diesen Krieg erreicht Karl weit mehr,
als seinem Vater jemals vergönnt war. Nach der Kapitulation des Desiderius
beseitigt Karl die seit Jahrhunderten bestehende Autonomie der Langobarden
in Italien und nimmt selbst den Titel eines Königs der Langobarden,
rex Langobardorum, an. Er ist nunmehr König der Franken und der Langobarden.
Die Zusagen und Schenkungen von 754 und 756 werden von Karl 774 in Rom
gegenüber dem Papst feierlich erneuert; die Unterstützung der
päpstlichen Gebietsansprüche bleibt auch in der Folgezeit fester
Bestandteil der karolingischen Politik. 781 läßt Karl der Große
seine Söhne Pippin und Ludwig in Rom zu Königen salben; Pippin
wird Unterkönig der Langobarden, Ludwig Unterkönig in Aquitanien
(Gebiete südlich der Loire). Dies alles geschieht ohne Rücksicht
auf Byzanz; die Durchsetzung eigener Interessen hat Vorrang; allerdings
vermeidet Karl einen offenen Konflikt mit dem Oströmischen Reich,
es geht ihm nicht um einen erkennbaren Weltherrschaftsanspruch.
Bereits nach wenigen Regierungsjahren ist Karls Ansehen als vortrefflicher
Herrscher gefestigt. Im Jahre 777 erreicht ihn auf dem Reichstag in Paderborn
ein Hilferuf des Statthalters von Barcelona, Ibn al Arabi. Dieser unterstellt
sich dem Frankenkönig und bittet als Gegenleistung um Unterstützung
gegen den Omaijaden Abderahman, der in Cordoba ein eigenes Kalifat errichtet
hat. Offensichtlich aus der Absicht heraus, seinen Einflußbereich
weiter auszudehnen und einem Teil der christlichen spanischen Bevölkerung
wieder einen christlichen Herrscher zu verschaffen, kommt es 778 zum Spanienfeldzug
Karls des Großen, der mit einer Niederlage endet. In der Folgezeit
gelingt es Karl aber immerhin, eine spanische Mark zu errichten, die in
ihrer größten Ausdehnung 812 bis zum Ebro reicht.
Zu den schwersten Auseinandersetzungen, die Karl in seiner sechsundvierzig
Jahre währenden Regierungszeit auszustehen hatte, kam es jedoch östlich
des Rheins. Mehr als dreißig Jahre lang kämpfte Karl gegen die
Sachsen, die in mehrere Stammesgruppen untergliedert waren. Der Krieg beginnt
772 und endet erst 804. Einen erbitterten Gegner auf Seiten der Sachsen
fand der Frankenkönig vor allem in Widukind, der wiederholte Male
von Dänemark aus gegen Karl operierte und für die Freiheit und
die überlieferten heidnischen Glaubensinhalte der Sachsen kämpfte.
Nachdem Widukind 785 seine Unterlegenheit einsieht und sich taufen läßt,
verlieren die Auseinandersetzungen zwischen Franken und Sachsen ihre Schärfe,
ohne aber völlig zum Erliegen zu kommen.
In keiner Auseinandersetzung hat Karl so grausam und rücksichtslos
seine Stärke demonstriert wie im Krieg gegen die Sachsen. Mit eiserner
Hand wurde die sächsischen Stämme christianisiert. Auf Verweigerung
der Taufe stand jahrzehntelang die Todesstrafe. Allein bei Verden - so
berichten die Reichsannalen - soll es 782 infolge einer Strafaktion zu
mehr als 4000 Hinrichtungen gekommen sein, nachdem Widukind und seine Leute
ein fränkisches Heer vernichtet hatten, allerdings ist die Zahl der
Getöteten wahrscheinlich zu hoch gegriffen. Solche Bluttaten sind
für Karl den Großen keineswegs typisch. Sie bleiben eine Ausnahme.
Karl ist - natürlich unter Berücksichtigung der damals vorherrschenden
Sitten - kein besonders blutrünstiger und rachsüchtiger Herrscher;
er versteht es vielmehr, diplomatisch Fäden zu ziehen und auf allen
Seiten neue Gefolgsleute an sich zu binden.
Auch Bayern wird durch Karl den Großen faktisch dem Fränkischen
Reich eingegliedert. Unter den Agilolfingern hat sich dort ein recht lebensfähiges
Stammesherzogtum entwickelt. Die in Regensburg residierenden Herzöge
haben das Recht, Bischöfe einzusetzen, sind aber nach außen
an die Karolinger gebunden. Herzog Tassilo, ein Cousin Karls des Großen,
hatte bereits 757 den Lehenseid geleistet, diesen aber gebrochen, als er
bei einer Auseinandersetzung mit Aquitanien das Heer verließ. Auf
der Grundlage dieses lang zurückliegenden Vergehens gelingt es Karl,
Tassilo zur Absetzung zu zwingen. Der bayerische Herzog wird 788 in ein
Kloster geschickt, Bayern fortan von fränkischen Präfekten verwaltet.
Ein weiterer Erfolg Karls ist die Niederschlagung der Awaren, eines
mongolischen Reitervolkes, das sich an der Donau festsetzt und von dort
aus Raubzüge unternimmt. Zwischen 791 und 799 werden die Awaren vernichtend
geschlagen, ihre Schätze erbeutet und nach Aachen gebracht.
4. KARLS KAISERKRÖNUNG
Die Ereignisse, die zu Karl Kaiserkrönung führen, gehen
von Rom aus. Dort ist das Papsttum unter den Einfluß des stadtrömischen
Adels und seiner verschiedenen Fraktionen und Gruppierungen geraten. 799
kommt es zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Papst Leo III. in Rom
überfallen wird. Er wendet sich hiernach an Karl und bittet den Schutzherren
der Kirche um Hilfe. Als Ergebnis der Verhandlungen, die zwischen dem Papst
und Karl in Paderborn stattfinden, zieht Karl im Sommer 800 mit einem großen
Aufgebot nach Rom. Leo III. empfängt ihn - noch vor der Krönung
- zwölf Meilen vor der Stadt mit Kaiserzeremoniell. Am 25. Dezember
des Jahres 800 setzt der Papst schließlich in der Peterskirche dem
Frankenkönig die Kaiserkrone auf.
Es ist wahrscheinlich, daß Karl von der bevorstehenden Krönung
durch Leo III. wußte, historisch endgültig zu belegen ist diese
Vermutung aber nicht. Mit Karls Krönung tritt an die Seite des oströmischen
Kaisers das westliche Kaisertum. Machtpolitisch erscheint dieser Vorgang
mehr als gerechtfertigt. Die reale Machtbasis Karls bildet das 774 um Norditalien
erweiterte Fränkische Reich, ein Gebiet also, das vom Atlantik bis
zur Elbe reicht. Die Macht Karls des Großen übersteigt damit
schon längst die normalen Sphären eines frühmittelalterlichen
Königreiches.
Nach einigen kleineren Auseinandersetzungen mit Byzanz kommt es 812
auch zur Aussöhnung zwischen dem älteren Kaiserreich Byzanz und
dem neuen Kaisertum im Westen. Ostrom erkennt Karl als Imperator an, ihm
wird sogar das Recht zuerkannt, die byzantinischen Kaiser mit "Bruder"
anzusprechen. Karl geht es in den Auseinandersetzungen mit Byzanz von Beginn
an um Parität, nicht um eine Vormachtstellung des Frankenreiches gegenüber
dem oströmischen Kaisertum.
5. KARL UND SEIN WIRKEN IN AACHEN
Lange Jahre hindurch lag dem König der Gedanke fern, eine
Residenz zu bauen. Er hat seine Gelehrten, die Schreiber, Theologen, Künstler
und Dichter, nicht in einer Pfalz zusammengezogen. Innere und äußeren
Unruhen zwangen ihn Jahr für Jahr ins Feld. Seine Freunde mußten
ihn jeden Winter in einem anderen Hofgut, jedes Frühjahr auf einem
anderen März- oder Maifeld, jeden Herbst in anderen Jagdrevieren aufsuchen.
Erst die letze seiner vier Gattinnen mag so etwas wie ein Zuhause gehabt
haben. Frauen, Söhne und Töchter waren meist gemeinsam mit dem
Frankenherrscher unterwegs. So wurde z. B. Ludwig der Fromme, der spätere
Nachfolger Karls des Großen, am Fuß der Pyrenäen auf dem
Araberfeldzug von 778 geboren.
Das gemeinsame Kriegswerk, der Zwang, sich jedes Jahr erneut im Feld
zu treffen, dem sich alle Großen und Freien fügen mußten,
hat das Reich zusammengehalten und die persönlichen Verbindungen in
dieser verkehrsarmen Zeit gewährleistet.
Das auf den Reisen gefestigte Wissen um die Verschiedenartigkeit der
Zustände im Reich beunruhigte Karl, so daß er zeit seines Lebens
nach Einheit und Einheitlichkeit strebte. In den verschiedenen Provinzen
wurden unterschiedliche Münzen, Gewichte und Maße gebraucht,
der Gottesdienst wurde in jeweils voneinander abweichenden Riten vollzogen,
die heiligen Texte lagen in abweichenden Fassungen vor und wurden voneinander
abweichend gedeutet, so daß fast jedes Kloster nach seinen eigenen
Bräuchen lebte.
Im Winter 788/89 war Karl zum erstenmal nach 20 Jahren wieder mehrere
Monate hindurch in Aachen. Heute wird angenommen, daß Karl zu dieser
Zeit den Entschluß faßte, Aachen zu einer Pfalz auszubauen.
Dennoch dauerte es noch bis 794, bevor Karl und sein Hof nach Aachen übersiedelte.
Damit begann ein zweiter Abschnitt im Leben des Frankenherrschers. Aus
dem Frankenführer zu Pferd wurde nun ein König mit einer Residenz.
Die guten Jagdmöglichkeiten und die warmen Bäder mögen die
Wahl des Ortes mitbestimmt haben. Nur unter dringendem politischen oder
militärischem Zwang hat Karl fortan Aachen verlassen, häufiger
in den ersten sieben Jahren, immer seltener in den letzen zwölf. In
Aachen konstituierte sich auch der Freundes- und Ratgeberkreis, den man
die Akademie Karls des Großen genannt hat und der sich in den verschiedensten
Bereichen um die Einheitlichkeit im Reich bemühte.
In Aachen sollte eine neue Monumentalpfalz entstehen, die sich - so
das Ziel - mit Rom sollte messen können. Mit ungeheurer Schnelligkeit
hat man gebaut. Antike Bauwerke wurden abgerissen, um ihre Quader neu zu
benutzen; aus zahlreichen Brüchen entnahm man Steine. Ein großes
Bad wurde neu angelegt; die Marienkapelle entstand. Aus Rom und Ravenna
ließ Karl Mosaikplatten, Kapitelle und Säulen kommen; gleiches
gilt für das Bronzereiterbild des Theoderich und für die Marmorplatten
des Thrones . Eigene Werke kamen hinzu, wie z.B. die Pfalzkapelle selbst
mit ihrem achteckigen Zentralbau. Karl mußte in Aachen keiner bodenständigen
Überlieferung Rechnung tragen. Es gab nur Jagd, Landwirtschaft und
Bad.
Von überallher kamen die von Karl herbeigerufenen Kleriker, Künstler
und Handwerker, die er großzügig bewirtete. Die Kultur blieb
vorwiegend den Fremden überlassen, allein das Kriegsgeschäft
blieb in den Händen des eigenen Adels. 796 wurde zudem der eroberte
Schatz der Awaren in sechzehn Ochsenkarren nach Aachen gebracht und verbreitete
das trügerische Vertrauen auf die neugewonnene Wirtschaftskraft der
Stadt. Noch größere Aufmerksamkeit erregte der weiße Elefant
Abulabaz, den Karl von dem sagenumwobenen Kalifen von Bagdad, Harun al
Raschid, zum Geschenk bekam und der fortan die Hauptattraktion des Aachener
Zoos werden sollte. Die fremden Gestalten, Tiere und Trachten, das ständige
Kommen und Gehen verliehen dem Hof Karls jenen märchenhaften Glanz,
der für das ganze Mittelalter zu einem Kaisereinzug und Festzug gehören
sollte.
Von der Kaiserkrönung in Rom (Winter 800/01) ist Karl in eigentümlicher
Nachdenklichkeit nach Aachen zurückgekehrt. Einhard, der Biograph
Karls des Großen, weiß davon zu berichten, daß der Frankenherrscher
das Kaisertum als eine sittliche Verpflichtung verstand und ihn nunmehr
ein Unbehagen über seine neue Stellung zwischen Römertum und
Frankengröße beschlich. Der Zwiespalt zwischen dem Leben an
einem germanischen Fürstenhof und dem römischen Kultur- und Staatsprogramm
tat sich auf. Es ist wahrscheinlich, daß sich Karl vor allem nach
der Kaiserkrönung wieder verstärkt auf seine fränkische
Abstammung besann. Er ließ die alten Gesänge seines Volkes aufschreiben
und bemühte sich fortan, eine Grammatik der fränkischen Sprache
schreiben zu lassen. Erst am Hofe Karls wurde auch erkannt, daß die
Germanen - aller Dialekte zum Trotz - eine gemeinsame Sprache hatten, für
die sich mehr und mehr der Name "Theodisk" - deutsch - durchsetzte.
Karls entschlossene Blickwendung nach Rom hatte gleichzeitig eine entschiedene
Pflege der eigenen Kultur zur Folge, die vor allem in Aachen mit Sorgfalt
betrieben wurde.
6. DER ZUSAMMENBRUCH DES KAROLINGISCHEN REICHES
Karl der Große ist aus der deutschen Geschichte sowenig
wegzudenken wie aus der französischen oder der italienischen, wenngleich
er weder Deutscher noch Franzose oder Italiener war. Karl war eine europäische
Gestalt; bereits seine gelehrten Freunde am Hof hatten ihn "Vater Europas"
genannt, und noch heute berufen sich Deutsche wie auch Franzosen auf Karl
als einen ihrer Gründerväter.
Verschiedene Ursachen führten nicht lange nach dem Tod Karls zu
einer permanenten Krise des Karolingischen Reiches, aus dessen Erbmasse
Frankreich und das Deutsche Reich hervorgehen. Allein die seinerzeit vorherrschenden
Schwierigkeiten bei der Nachrichtenübermittlung lassen gewahr werden,
wie schwierig es für eine Zentralgewalt sein muß, Anordnungen
im Reich durchzusetzen. Hinzu kommen die partikularen Interessen des Adels,
auf die der König trotz seiner herausragenden Stellung angewiesen
bleibt. Das Selbstbewußtsein der adeligen Kreise wird im 9. und 10.
Jahrhundert erheblich gesteigert, weil sie oftmals bei der Abwehr gegen
äußere Feinde auf sich allein gestellt sind. Die Nachfahren
Karls des Großen schwächen sich in Brüderkämpfen gegenseitig.
Die Erbteilung, an die auch die Nachfahren Karls des Großen festhalten,
zeigt ihre negativen Folgen. Es sind zunächst vor allem die Einfälle
normannischer, insbesonderer dänischer Wikinger, die das Reich vor
große Probleme stellen. Die Wikinger nutzen die innere Krisensituation
aus und unternehmen weite Raubzüge in das Landesinnere hinein. Sie
verbreiten den Schrecken eines oft erbarmungslosen und grausamen Gegners.
Im Fränkischen Reich enden die Übergriffe erst 911.
Eine weitere Gefahr bilden die Ungarn, die seit Mitte des 9. Jahrhunderts
ihre Besitzungen in Rußland verlassen und vor allem den bayerischen
und sächsischen Adel vor Probleme stellen.
Zwar wird das Karolingerreich 882 unter der Krone Karls des Dicken
noch einmal vereint, doch wird er 887 vom Adel wegen seines Versagens im
Kampf gegen die Normannen abgesetzt. In der Folgezeit beschleunigt sich
der Prozeß des Niedergangs des karolingischen Adelsgeschlechts und
damit der fränkischen Einheit. Es kristallisieren sich mit Ost- und
Westfranken zunehmend zwei voneinander unabhängige Reiche heraus.
7. LITERATUR
Beumann, Helmut: Grab und Thron Karls des Großen zu
Aachen, in: Ders: Wissenschaft vom Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze.
- Köln u. Wien 1971, S. 347 - 376.
Braunfels, Wolfgang: Der Aachener Hof und seine Kultur, in: Karl der Große
- Werk und Wirkung. - Aachen 1965, S. 19 - 32.
Fleckenstein, Josef: Karl der Große. - 2. Aufl., Göttingen u.a. 1967.
Ganshof, Francois L.: Karl der Große und sein Vermächtnis, in: Karl
der Große - Werk und Wirkung. - Aachen 1965, S. 1 - 8.
Paschke, Uwe K.: Das Frühe Mittelalter, Aufstieg, Blüte und Verfall
des Frankenreiches unter den Merowingern und Karolingern, in: Holles Universalgeschichte
1 - Vom Höhlenbewohner zum Entdecker der Welt. - Baden-Baden o. J., S.
204 - 222.
Weidemann, Konrad: Von der Spätantike zu Karl dem Großen, in: Karl
der Große - Werk und Wirkung. - Aachen 1965, S. 45 - 148.
Zur EUREGIO Maas-Rhein Exkursionsseite 1997
Zur EUREGIO Maas-Rhein Exkursionsseite 1998